Wandern durch König Laurins Reich
Wer durch die Berge Südtirols wandert, sollte auf der Hut sein. „Vorsicht“, ruft Michaela mit einem Mal. „Zerreißt nicht Laurins Seidenfaden.“ Sorgsam steigt unsere Bergwanderführerin von Steinbock Bergtouren über einen Spinnenfaden, der in Kniehöhe quer über den Pfad gespannt ist.
Mit magischen Seidenfäden schütze König Laurin seinen Rosengarten
Als wir etwas ratlos vor dem filigranen Hindernis stehen bleiben, erzählt sie: „Einst hat der Zwergenkönig Laurin einen Rosengarten unterhalb der Rosengartenspitzen gehegt.“ Um den Garten zu schützen, habe Laurin einen hauchfeinen magischen Seidenfaden um den Garten gesponnen. Wer den Faden durchtrennte, dem habe Laurin die linke Hand und den rechten Fuß abgehackt. Beeindruckt steigen wir mit staksigen Schritten über den Spinnfaden.
Denn wie wir erfahren haben, ist es besser sich nicht mit Laurin anzulegen. Schließlich besitzt der Herrscher über das Zwergenvolk einen Gürtel, der ihn so stark macht wie zwölf Männer, und einen Mantel, mit dem er unsichtbar wird.
Während wir weiter stapfen, fährt Micha fort, erzählt von Prinzessin Similde, die Laurin mit nicht ganz sauberen Mitteln in seinen Kristallpalast bringt, und wie der leuchtende Rosengarten seinen Ort verrät, sodass Laurin schließlich aus seinem Reich vertrieben wird und seinen Rosengarten verflucht. Seither scheint der Garten nur noch in der Abenddämmerung auf, wenn das Rosengartenmassiv im schönsten Alpenglühen aufleuchtet. „Dass die Zwerge nun über die Wege durch Laurins einstiges Reich Seidenfäden spannen, ist aber meine Variante der Geschichte“, schließt sie ihre Erzählung lachend ab.
Seit zwei Tagen sind wir unterwegs durch die Sagenwelt Südtirols und schon eingesponnen von den Legenden, die sich um Schlern und Rosengarten ranken. Dabei erfahren wir auch einiges über die Geschichte dieses Landstrichs. So wissen wir nun etwa, dass die Schlernhexen nicht nur mythische Figuren sind, sondern oft genug bedauernswerte Menschen, die zu Opfern der Hexenverfolgung wurden. Aber nicht nur die Geschichte der Menschen und ihre Geschichten sorgen für Abwechslung auf der Wanderung. Michaela weiß immer wieder auch etwas über die geologische Historie dieser Landschaft zu berichten, die mal vom zerschrundenen Kalkstein der Dolomiten, mal von den sanft gewellten Wiesen des Schlern-Plateaus geprägt wird.
Und natürlich lässt sie uns auch an ihrer Begeisterung für die Flora und Fauna der Bergwelt teilhaben, wenn sie immer wieder auf die blühenden Hingucker verweist, die für uns Spalier stehen.
Nach einem Tag voller aufregender Bergerlebnisse in beeindruckender Alpenkulisse setzt der Abend auf der Berghütte nur noch das i-Tüpfelchen auf diese außergewöhnliche unterhaltsamen Wanderung. Knusprige Bratkartoffeln mit Spiegelei und Speck wie auf dem Schlernhaus oder Josefs Omlett mit frischen Bergkräutern aus dem 1739m hoch gelegenen Tschafon-Biogarten, frisch geriebenem Parmesan und ein Glas Südtiroler Weißwein lassen einen die Anstrengung des Tages schnell vergessen.