Hauswurz – ein Hexenkraut in Südtirol
Hexen mochten die luftige Höhe – die Hexen vom Schlern ganz besonders. Sie versammelten sich gerne am Burgstall, 2500 m über Null, um zu tanzen, Streiche auszuhecken, Wetter zu machen und mit dem Teufel wilde Feste zu feiern. Einen Besen, eine Heu- oder Ofengabel bestrichen sie mit einer geheimnisvollen Salbe und fuhren durch den Kamin eines Hauses hinauf auf den Berg, der als Wahrzeichen Südtirols markant das Bozener Tal überragt. Und noch heute tanzen Schlernhexen auf dem Hochplateau des Schlerns, wenn der Wind in die Fruchtstände der Küchenschelle greift und die zauseligen Haare der kleinen Samen wild hin und her bewegt. Im Volksmund erzählt man sich, dass diese Blume, die wegen ihrer wilden Mähne Schlernhexen heißen, überall dort wachsen, wo früher eine Hexe getanzt habe. Man solle sie nicht pflücken, sonst würde einem eine Hexe an einer gefährlichen Stelle zur Strafe ein Bein stellen. Was im Hochgebirge durchaus unangenehm sein kann.
Mit Hauswurz gegen Hexenzauber
So ganz wehrlos waren die Bauern dem Unwesen der Hexen allerdings nicht ausgeliefert. Es gab zahlreiche Heilkräuter, die sie gegen den Zauber der Hexen anwenden konnten. Zu ihnen gehört der Hauswurz (Sempervivum), der von der iberischen Halbinsel bis zum Iran vor allem in Gebirgsregionen anzutreffen ist. Ihn hängten die Bauern in ihre Kamine und glaubten, sie könnten so verhindern, dass die Hexen durch die Schornsteine führen.
Schon Karl der Große war von der Schutzwirkung des Jupiterbarts überzeugt
Doch nicht nur vor Hexen schützte die alpine Pflanze angeblich. Die vielen Namen, die man ihr im Volksmund verliehen hat, zeugen von dem Schutz, den man sich von Hauswurz erwartete: Dachkraut, Donnerbart, Gewitterkrut und Jupiterbart sind nur einige davon, die sich in der jeweiligen Übersetzung auch in anderen Sprachen wiederfinden.
Die Menschen in jener Zeit waren davon überzeugt, dass Hauswurz Gewitter von Dächern fernhalten könne und selbst Karl der Große ordnete in seiner Landgüterverordnung an, dass „jeder Gärtner auf seinem Dach „Jupiterbart“ haben solle“. In der römischen beziehungsweise germanischen Mythologie sind Jupiter und Donar (Thor) diejenigen Götter, die Gewitter und Wettergeschehen unter ihrer Kontrolle haben.
Feuerschutz für Stroh- und Reetdächer
Die mehrjährige Pflanze, deren halbkugeligen Rosetten dicke Polster bilden, hatte auf dem Dach teilweise auch einfach eine praktische Funktion. Mit ihren verzweigten Wurzeln, mit denen sie in der Bergen auf dem nackten Fels Halt findet, stärkte der Hauswurz den Halt von Reet- und Strohdächern und von solchen, die mit Stein gedeckten waren. Mit ihren dickfleischigen Blättern kann die Pflanze auch sehr viel Wasser speichern und sorgte so zur gleichen Zeit dafür, dass Stroh- und Reetdächer nicht so leicht Feuer fingen.
Zu guter Letzt sagt man dem Hauswurz auch eine medizinische Wirkung nach. Der Saft seiner Blätter soll bei kleineren Verletzungen oder kleinen Brandwunden entzündungshemmend wirken und die Wundheilung beschleunigen.
Ein Zauberkraut zum Reiten auf dem Besen
Der Hauswurz wurde aber nicht nur gegen Hexen verwandt. Die Frauen mit den Zauberkräften nutzen das Kraut auch für ihre Zwecke: Sie verwendeten sie unter anderem, um daraus ihre geheimnisvolle Salbe herzustellen, mit der sie ihr Fluggerät bestrichen, um in die Nacht hinauszufahren.
Wenn Sie wissen möchten, welche Sagen man sich von den Hexen vom Schlern erzählt, dann kommen Sie doch mit auf eine Wanderung durch die Sagenwelt Südtirols.
Und wenn Sie mehr über Bergkräuter erfahren möchten, dann nehmen Sie an unserem Seminar zu alpinen Heilpflanzen teil, bei dem wir Ihnen über die Anwendung der Heilkräuter in der Vergangenheit und in der Gegenwart erzählen.