Hüttenwirt aus Liebe zur Natur in den Tannheimer Bergen
Steil und unnahbar ragt die Nordflanke des Gimpels unweit von Jörgs Zimmer auf. Kein Wanderweg durchschneidet den Felsen, und auch keine Gämse wagt sich in die manchmal senkrechte Wand. So abweisend wie sie auf einen einfachen Wanderer wie mich wirkt, umso einladender ist Jörgs Hütte.
Über die Nesselwängler Scharte bin ich abgestiegen und habe die Füssener Hütte schon von weit oben am Talschluss des Raintals liegen sehen. Von Bergwiesen eingefasst hat sie einen Sonnenplatz ergattert, über den sich nicht nur zahlreiche Alpenblumen freuen, sondern auch die Kühe der etwas tiefer gelegenen Musauer Alm: Fleckvieh, Grauvieh und Schottische Hochlandrinder. Letzteren haben es mir besonders angetan. Mit ihrem zotteligen Fell wirken sie, als wären sie gerade einem Spielzeugladen mit übergroßen Kuscheltieren entlaufen.
Entspannte Ruhe in den Tannheimer Bergen
Nach einem langen Bergtag sitze ich mit einer Apfelschorle auf der Terrasse und genieße die Abendsonne, als auf einmal Bewegung in die Herde kommt. Im Galopp kommen die Rinder bergab zur Füssener Hütte gerannt. Hüttenwirt Jörg lacht, als ich ihm erzähle, dass mir die Schotten besonders gut gefallen. „Der Schwarze da drüben, das ist ein ganz frecher. Der kommt gerne mal zur Hütte, wenn das Gatter offen steht.“ Erzählt er mir. Es steht offen, aber heute ist die hübsche Grauvieh-Dame wohl interessanter. Glück gehabt! Auf eine Diskussion mit dem beeindruckenden Hornvieh würde ich mich ungern einlassen.
Während Jörg und ich plaudern, gleitet mein Blick wieder über den Gimpel. Ruhe strahlt er aus, der Berg im Tannheimer Tal im österreichischen Teil des Allgäus. Unbeeindruckt von dem, was sich hier unten tut. Und hier tut sich schon lange was. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts steht hier eine Alm auf Grund und Boden der Stadt Füssen. Der Stadt Füssen? Ja, ganz richtig! Die Hütte liegt zwar in Österreich, doch die etwa 500 Hektar Land, die sie umgeben, gehören seit fast 1000 Jahren per kaiserlichem Dekret der Stadt Füssen. Die Grundmauern der ersten Alm stehen heute noch.
Während des zweiten Weltkriegs wurde die Hütte um ein Stockwerk erhöht und ist seither praktisch unverändert. Die historische Ausstrahlung der Hütte unterstützt Jörg, indem er alte Sachen kauft und seine Hütte damit liebevoll möbliert und dekoriert. Neben alten Bergbildern und Fotos von Bergsteigern aus lange vergangenen Tagen gibt es auch ein Paar urtümliche Schneeschuhe und Gamaschen. Mein Zimmer ziert ein hübsches, altes Sofa, das für Gemütlichkeit sorgt. Das Zimmer ist großzügig. Auf der einen oder anderen Hütte stünden hier statt einem Doppelbett drei oder vier Stockbetten.
„Wenn ich wollte, könnte ich an manchen Wochenenden hier noch Matratzen auslegen und mehr Geld verdienen. Aber das will ich nicht. Darunter würde die Qualität der Hütte leiden“, sagt Jörg.
Das wäre wirklich sehr schade. Es gibt auf der Hütte zwar anstatt Duschen nur Waschräume, aber das Essen ist lecker, der Kuchen eine Sünde wert und die Stimmung super.
Jörg liebt die Stille und Einsamkeit der Berge
Jörg ist seit 2011 Hüttenwirt auf der Füssener Hütte. Er hatte schon früher auf anderen Hütten mitgeholfen. Seine Entscheidung, selbst Hüttenwirt zu werden, fiel, als er sich fragte, ob er ausschließlich als Metzgermeister arbeiten wolle, bis er in Rente gehen könne. Nein, wollte er nicht! Denn er liebt die Natur und die Berge mit ihrer Stille und Einsamkeit. Warum also nicht das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden? Heute ist Jörg von Mai bis Oktober Hüttenwirt, und den Rest des Jahres lebt er mit seiner Familie im Tal und arbeitet weiterhin als Metzgermeister. So wie auch jeden Montag, wenn Schlachttag ist, und Jörg ins Tal fährt.
Auf der Hütte genießt Jörg am meisten die stillen Momente, wenn es nur wenige oder auch mal keine Gäste gibt, und er stundenlang mit dem Fernglas dasitzt und den Gimpel anschaut. Kein Fernseher, kein Mobiltelefon und kein Internet. Das sind für ihn die schönsten Augenblicke auf seiner Hütte. Doch wenn Gäste da sind, ist es ihm sehr wichtig mit ihnen Kontakt zu haben. Früher verbrachte er die meiste Zeit in der Küche. Heute nimmt er sich während seiner vielen Tätigkeiten Zeit für die Bergsteiger, die hier Station machen, und plaudert mit ihnen über ihr nächstes Ziel, die Tannheimer Berge und erzählt Geschichten aus seinem Hüttenleben oder von seiner Sammelleidenschaft. Sein Allgäuer Dialekt mitten im Tiroler Tal macht ihn dabei nur noch sympathischer.
Als sich die Nacht über die Hütte senkt, wird es draußen so dunkel, wie man es von der Stadt her nicht mehr kennt. Hell leuchten die Sterne an dem wolkenfreien Himmel, aber der Mond ist noch nicht gegangen. Sobald auch ich auf meinem Zimmer das Licht ausschalte, ist die Nacht tiefschwarz. Nur das sanfte Bimmeln der Kuhschellen begleitet die Träume der Nacht.
Nach einem reichhaltigen Frühstück verabschiede ich mich von Jörg und seinem fröhlichen Hüttenteam. Wenige Meter unterhalb der Hütte drehe ich mich noch einmal um. Idyllisch liegt die Füssener Hütte zu Füßen des Gimpels, der von der Morgensonne beschienen gar nicht mehr unnahbar erscheint. Wie freue mich da, dass ich in wenigen Wochen wieder hier sein kann.