Verschwenderische Sparmaßnahme
Wenn im Herbst die Bäume mit einer verschwenderischen Farbenpracht aufwarten, so ist das eigentlich nur eine ausgeklügelte Sparmaßnahme. Denn bevor unsere Laubbäume ihre Blätter abwerfen, retten sie daraus alles, was für sie wertvoll ist.
Laubfall schützt vor dem Verdursten
Über seine Blätter verdunstet ein Baum sehr viel Wasser. Eine Birke verliert so durchschnittlich 70 Liter pro Tag. An sehr heißen Tagen können es sogar bis zu 400 Liter sein. Trotzdem ist die Verdunstung im eisigen Winter für Bäume gefährlicher als an heißen Sommertagen. Denn im Winter gefriert der Boden, und der Niederschlag bleibt als Schnee darauf liegen. Trügen Bäume dann noch Blätter, würden sie verdursten, weil sie über die Blätter weiter Wasser verlören, aus dem Boden aber nicht genügend Nachschub käme. Daher werfen Laubbäume ihre Blätter im Herbst ab und bilden sie im Frühjahr wieder neu.
Allerdings käme das viel eher einer Verschwendung gleich als das prächtige Farbenkleid, wenn die Pflanze nicht zu den Sparmaßnahmen griffe. Denn die wichtigsten Elemente jeder Blattzelle sind kleine Kraftwerke: Chloroplasten, mit deren Hilfe Pflanzen in der Fotosynthese aus Kohlendioxid und Wasser Nährstoffe bilden. Diese Energiezentralen bestehen zum größten Teil aus Proteinen und dem grünen Chlorophyll, das dem Blatt seine Farbe gibt. Proteine enthalten viel Stickstoff, der für Pflanzen eine knappe Ressource darstellt. Warum also den wertvollen Stickstoff wegwerfen, wenn das Blatt abfällt?
Recycling wertvoller Ressourcen
Um den Stickstoff zu retten zerlegt die Zelle die Kraftwerke in einzelnen Bausteine, die im Laufe des Herbstes teilweise in die Äste transportiert werden. Das Chlorophyll wird dabei ebenfalls abgebaut und verliert seine Farbe. Zurück bleiben gelbe und orangefarbenen Carotinoide, die auch gelben Äpfeln und Kürbis ihre leuchtende Farbe verleihen. Sie sind auch vor dem Herbst in den Blättern enthalten, werden aber von dem intensiveren Blattgrün überdeckt. Einige Baumarten bilden bei besonders kalten und sonnigen Tagen noch rote Anthocyane, die auch dem Rotwein seine intensive Farbe geben und zum Farbenspiel ihres Herbstkleides beitragen. Vermutlich schützen Anthocyane die Zellen vor freien Radikalen.
Sowohl Carotinoide als auch Anthocyanen bestehen nur aus Kohlenstoff und Wasserstoff, die den Bäumen in großer Menge durch Kohlendioxid und Wasser zur Verfügung stehen. Sie braucht der Baum nicht zu recyclen.
Wenn im Spätherbst die Tage noch kürzer werden und die Temperaturen weiter sinken, verändert ein von der Pflanze gebildetes Hormon die Zellen, die den Blattstiel mit dem Ast verbinden. Deren Zellwände werden zerstört, das Blatt löst sich vom Baum und segelt langsam zu Boden.
Dass unsere Laubbäume ihre Blätter verlieren, ist auch deshalb gut, weil sie so die Gefahr des Schneebruchs reduzieren, der auch für Bergwanderer gefährlich werden kann. Wenn in den Bergen in manchen Jahren der erste Schnee bereits sehr früh im Herbst fällt und die Laubbäume noch viele Blätter tragen, bleibt auf ihren Ästen schnell eine große Menge nassen Schnees liegen. Da die Äste der Laubbäume aber weniger flexibel sind als die Äste der immergrünen Nadelbäume, brechen sie häufig unter der schweren Last. Manchmal stürzen in ungünstigen Lagen sogar ganze Bäume um. Von blattlosen Bäumen brechen seltener Äste ab, weil sie der Schneelast besser Stand halten.
Alle, die trotz der Vorteile für Bäume und Wanderer mit Wehmut sehen, wenn die Bäume die Blätter verlieren, können sich trösten: Im Frühjahr, wenn die Temperaturen langsam wieder steigen, dann beginnt der Millionen Jahre alte Kreislauf von neuem, in dem sich die Bäume mithilfe ihrer Stickstoffvorräte ein Blätterkleid schneidern, das sie im Herbst wieder recyclen.