Eine alpine Patchwork-Familie
Wenn Bär, Katze und Affe gemeinsam einen sechsmonatigen Winterschlaf halten, hört sich das nach der Erzählung aus einem fröhlichen Kinderbuch an. Verwirrender wird die Geschichte dann aber noch, wenn man erfährt, dass so die einzelnen Mitglieder der Familie Bergmaus genannt werden. Von Mus montis stammt nämlich wahrscheinlich der heutige Name für das Murmeltier ab.
Pfeifen wenn der Adler kommt
Ähnlichkeit mit einer Maus hat der Alpenbewohner, den sicherlich schon so ziemlich jeder Bergwanderer einmal gehört oder auch gesehen hat, höchstens beim Spielen der Jungtiere, die als Affen bezeichnet werden, oder bei der Körperhaltung während des Fressens. Dann sitzen Murmelmutter, die Katze, und Murmelvater, der Bär, gerne auf den Hinterbeinen und suchen ihre Umgebung aufmerksam nach möglichen Fressfeinden ab. Nähert sich dem Rudel beispielsweise ein Steinadler, so stößt eines der Tiere einen schrillen Warnpfiff aus, der weithin zu hören ist. Die Mitglieder des eigenen Rudels und auch der Rudel in benachbarten Revieren verschwinden dann sofort in ihren unterirdischen Bauten.
Murmeltiere mögen’s kühl
Trotz der familieneigenen Alarmanlage schlägt ein Steinadler während der Brutsaison bis zu 70 Murmeltiere. Die größte Gefahr geht für die pelzigen Bergbewohner jedoch von heißen Sommern wie dem diesjährigen aus. Denn Murmeltiere sind als Relikte der letzten Eiszeit, während derer sie auch das Tiefland besiedelten, sehr hitzeempfindlich. Bei zu hohen Temperaturen ziehen sie sich in ihre kühleren Erdhöhlen zurück und warten dort, bis die Außentemperatur wieder etwas gesunken ist.
In Hitzeperioden, wie wir sie heuer erleben, haben die Tiere aber nicht genug Zeit, sich den für den Winterschlaf notwenigen Speck anzufressen. Viele Tiere sterben dann im darauffolgenden Winter.
Gemeinsam schläft’s sich besser
Die Reserven brauchen sie, weil sie in ihrem sechs- bis siebenmonatigen Winterschlaf bis zu einem Drittel ihres Körpergewichts verlieren. Dabei spart ihr Körper während dieser langen Ruhephase ohne Nahrungsaufnahme schon so viel Energie wie möglich. Der Herzschlag sinkt dann von 200 auf etwa 20 Schläge pro Minute, die Atmung reduziert sich auf zwei bis drei Atemzüge pro Minute und die Körpertemperatur sinkt auf ca. 10 Grad ab. Diese Ruhephase können Murmeltiere nur im Verbund überleben. Je größer das Rudel, umso größer sind auch die Überlebenschancen beim Überwintern.
Kuschelnd durch den Winter
Um die eisigen Wintertemperaturen der Berge zu überstehen, graben Murmeltiere Höhlen mit bis zu sieben Meter tiefen Gängen. Hierfür brauchen sie tiefgründige, fruchtbare Wiesenmatten, die ihnen oberirdisch ausreichend Nahrung bieten, nicht zu tief im Tal gelegen sein dürfen, weil es ansonsten draußen zu warm wird, aber auch nicht zu hoch im Gebirge gelegen sein dürfen, wo der Boden möglicherweise gefroren ist oder die Tiere beim Graben zu schnell auf Geröll stoßen. Die Schlafhöhle legen die Murmeltiere für den Winter mit trockenen Pflanzenteilen aus, durch die sie nach unten vom kalten Boden isoliert werden. Den Eingang verstopfen sie mit Erde, Steinen, Gras und Kot, so dass auch keine ungebetenen Gäste die Winterruhe stören. Von etwa Mitte Oktober an schlafen dann die Murmeltiere fest aneinander gekuschelt bis März/April. Alle drei bis vier Wochen werden die Tiere kurz wach und erledigen ihr Geschäft in einer separaten Höhle, um den Nestbereich sauber zu halten. Sinkt die Temperatur in der Höhle auf unter 12 Grad, wachen die Tiere auf, erhöhen ihre Körpertemperatur und wärmen damit die Höhle wieder etwas an. Dann kuschelt sich das ganze Rudel wieder aneinander und schläft weiter.
Bis zu 20 Tiere bilden ein Rudel, das aus einem dominanten Elternpaar, dem eigenen Nachwuchs und den geduldeten zwei- bis dreijährigen Jungtieren der gleichen Familie besteht. Wenn Jungtiere nach drei Jahren geschlechtsreif sind, verlassen sie ihre Familie und gründen eigene Reviere, bei denen sich der Bär eine neue Katze sucht, um kleine Äffchen zu zeugen.