Yoga unterm Gipfelkreuz der Zugspitze
Am Ende des vergangenen Sommers hat meine naturwissenschaftliche Überzeugung einen Kratzer bekommen. Ich war mit einer Yoga-Gruppe aus Hamburg im Zugspitzgebiet unterwegs. Den Teilnehmern war es dabei mindestens ebenso wichtig, ihre verschiedenen Übungen in der inspirierenden Bergwelt zu praktizieren, wie die Hüttenwanderung an sich. Das taten die Yogis auch, als wir in der Mieminger Kette von der Coburger Hütte zur Grünsteinscharte aufstiegen. Ein Felssturz hatte den alten Weg verschüttet. Hier hatte es offensichtlich ganz schön gerumpelt, als die Felsmassen bergab stürzten. Während ich den neuen Weg suchte, der sich nur mäßig im Geröllfeld abzeichnete, hörte ich voller Respekt noch immer Steine von der Westlichen Griesspitze herunter poltern. Wie ein steinerner Wasserfall bröselte fortwährend der Berg ab.
„Jay!“ für eine sichere Wanderung auch auf den schwierigen Wegen
Bevor wir die kritische Passage angingen, hielten die Yogis noch einmal inne, um ein besonderes Schutzmantra zu singen, das mit dem Sanskrit-Wort Jay – Sieg, Erfolg – endet. Das hatten die Gruppe schon in den vergangenen Tagen an den schwierigeren Stellen, wie etwa bei der Besteigung der Zugspitze, vor dem Losgehen getan. Das Mantra vermittelte ihr Zuversicht auf ein gutes Gelingen, und auch mir gefiel der Gesang mit seinem abschließenden „Jay!“ sehr gut.
Der Aufstieg im Geröll war dann extrem steil. Meine Gruppe ging konzentriert und schweigsam hinter mir her. Ich selbst war sehr darauf fokussiert, den schlecht erkennbaren Weg zu finden. So fiel mir erst nach einer Weile auf, dass das gleichmäßige Rumpeln aus der Felswand der Westlichen Griesspitze aufgehört hatte.
Hatte der erste Frost nach einem außergewöhnlich heißen Sommer einfach nur ein paar Steine gelöst, und war nun alles Geröll herabgestürzt?
Bald erreichten wir den Durchstieg durch die Grünsteinscharte und suchten uns etwas tiefer einen sonnigen Platz für eine Pause. Ich biss gerade in mein Restfrühstück von der Coburger-Hütte als ich stutzte. Mit gleichmäßigem Rumpeln polterten auf der anderen Seite wieder die Steine ins Drachenkar.
Meine naturwissenschaftliche Überzeugung würde mir den Glauben eigentlich verbieten, dass ein Schutzmantra den Steinschlag für die Dauer unsers Aufstiegs zur Grünsteinscharte gestoppt haben könnte. Doch waren die Harmonie, die Zufriedenheit und der Einklang der Gruppe mit der Bergwelt eine so beeindruckende Erfahrung, dass mir der Gedanke gefiel, dass es eben doch das Mantra war, das den Berg eine Atempause hat einlegen lassen.
Schon am frühen Morgen begrüßten die Yogis die Sonne mit Mantras
Die sechstägige Hüttenwanderung mit der Gruppe von Y8 Artyoga war für mich überhaupt eine sehr spannende Erfahrung. Ihr Bergtag begann immer schon vor sechs Uhr morgens. Mit körperlichen Übungen (Asanas) und Gesang (Mantrasingen) begrüßten sie die Sonne, die sich langsam über den Horizont schob und die Berge in ein goldenes Licht tauchte. Auf der Knorrhütte flossen dabei sogar die Wolken wie ein dahingleitender Strom unter uns und verstärkten das Gefühl der Ruhe, das über der Gruppe lag. Nicht selten lauschten überraschte Hüttengäste dem gleichmäßigen Gesang mit den sich wiederholenden Melodien. Auch so manche Alpendohle kam vorbei und beäugte argwöhnisch, ob da nicht ein Yogi in den hinteren Reihen heimlich eine Pause einlegte.
Die Gelassenheit in den Bergen auch in den Alltag mitnehmen
Auf der Suche nach dem Eins-Werden mit sich selbst und nach der inneren Ruhe spielt die Atmung eine große Rolle.
So legten die Yogis besonders viel Wert darauf, dass wir lange oder steile Passagen mit der notwendigen Gelassenheit angingen, um Herzschlag und Atmung in Einklang zu bringen. Als wir am Gipfeltag zur Zugspitze die ersten 700 Höhenmeter des steilen Anstiegs mit wenig Anstrengung bewältigten, lachte Anna und sagte: „Wenn sich doch alles im Leben, das einem so schwierig erscheint, als so einfach herausstellen würde.“ – Vielleicht fehlt uns manchmal die notwendige Gelassenheit, um eine schwierige Lebenssituation in Ruhe zu bewältigen, und ohne uns unter Druck zu setzen oder setzen zu lassen?
Die meditativen Elemente des In-Den-Bergen-Unterwegs-Seins habe ich selbst schon unzählige Male erlebt, und sie sind für mich zu einem wichtigen Ziel beim Bergwandern geworden. Ich genieße es, mit Freunden in den Bergen unterwegs zu sein und dabei zu erzählen und Neuigkeiten auszutauschen. Ebenso sehr kann ich es aber auch genießen, wenn wir miteinander schweigen, die Schönheit der Natur auf uns wirken lassen und einfach nur Schritt für Schritt voran gehen.
Der Genuss des Augenblick – um seiner Selbst willen
Für mich war es eine inspirierende Erfahrung zu erleben, dass es zwischen meiner persönlichen Bergphilosophie und Yoga eine große Übereinstimmung gibt. Dass es nicht nur um das Ziel geht, und sei es ein noch so reizvoller Gipfel, sondern um die Bewegung in der Natur oder die yogische Übung um ihrer Selbst willen geht.
Und im Juli geht es zur nächsten Hüttenwanderung mit Yoga nach Südtirol. Kommt doch mit!